Auch wenn im Moment corona-bedingt viel weniger geflogen und kreuzgefahren wird… die Öko-Bilanz dieser Reiseformen bleibt ein Thema. Also sollten wir wenigstens die CO2-Menge, die wir da verblasen, kompensieren – aber wie?

Schon seit Jahren fahre ich immer zur Biennale nach Venedig. Mal mit Kind und Kegel im Auto, mal mit dem Nachtzug, und im letzten Oktober – Flugscham über mich! – mit dem Flieger. Schon Minuten nach der Buchung plagt mich das schlechte Öko-Gewissen. Und ich suche nach Auswegen.

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Unternehmen, die Absolution für private Umweltsünder organisieren. Eine Branche im Aufwind: Der Marktführer für CO2-Kompensationen in Deutschland ist die Non-Profit-Organisation Atmosfair. 2018 hat sie 40 Prozent mehr Ausgleichszahlungen kassiert, als noch im Vorjahr, insgesamt 9,5 Millionen Euro, die irgendwo auf der Welt in Projekte investiert werden, die Treibhausgase reduzieren sollen. Zum Beispiel in kleine Biogasanlagen in Indien, Kenia, Thailand und Nepal, wo Erntereste und Kochabfälle zur Stromerzeugung genutzt werden. Oder zur Verbreitung von energieeffizienten Kochherden in Nigeria, Ruanda, Kamerun, Lesotho und Indien, um die Menschen dort davon abzuhalten, die Wälder zu Brennholz zu machen.

Für 10 Euro das Klima retten?

Auf der Webseite von Atmosfair probiere ich aus, was mich mein Kurzurlaub in Venedig an Kompensation kosten würde: Laut CO2-Rechner verursache ich mit meinem Ticket 123 Kilogramm CO2-Emissionen. Damit wären schon mehr als fünf Prozent meines klimaverträglichen Jahresbudgets von 2300 Kilogramm verbraucht. Die freudige Überraschung: Mit nur 10 Euro hätte ich das offenbar wieder ausgeglichen. Klingt toll – aber irgendwie muss ich spontan an den mittelalterlichen Ablasshandel denken: Etwas Geld abdrücken, und schon sind alle meine Sünden getilgt. Funktioniert das wirklich so einfach? Andere Menschen für mich das Klima retten lassen? Und was ist, wenn eines Tages alle Nigerianer effiziente Öfen haben?

Genau da liegt der Haken beim Kompensationsgeschäft. Die Emissionen werden damit ja nicht ungeschehen gemacht. Schwer zu sagen, ob mein nigerianischer Kompensator sich den Ofen vielleicht auch ohne die Subvention gekauft hätte. Vielleicht hätte es den Ofen billiger gegeben, wenn nicht die Anbieter wüssten, dass man dafür Geld aus den reichen Industrieländern abgreifen kann. Womöglich verbessert sich dank des tollen Ofens die wirtschaftliche Situation der nigerianischen Familie, und als nächstes schafft sie einen klimaschädlichen Kühlschrank an oder macht irgendwann selbst Flugreisen. Und irgendwie fühlt sich all das ein bisschen an, wie eine moderne Form des Kolonialismus: Wir Bewohner der ersten Welt, die wir ohnehin schon mit Abstand die meisten Treibhausgase in die Luft blasen, bezahlen Menschen in der dritten Welt fürs CO2-Sparen…

Unsere Psyche spielt uns einen Streich!

Umweltexperten befürchten noch einen weiteren negativen Effekt: Wir Menschen sind einfach gestrickt. Wenn wir an einer Stelle etwas ökologisch Lobenswertes getan haben, verringert das unsere Motivation, weiter umweltbewusst zu handeln. Der Fachausdruck dafür ist „moralische Lizensierung“. Gerade bei Personen mit wenig ausgeprägtem Klimabewusstsein könnte der Irrglaube entstehen, man kann bedenkenlos fliegen, soviel man will, solange man diese Flüge nur kompensiert.

Ein Forscherteam der Universität Kassel unter Leitung des Wirtschaftswissenschaftlers Andreas Ziegler hat in mehreren Studien untersucht, wie sich das Kompensationsgeschäft auswirkt. Demnach neigen Klimakompensierer auch in anderen Bereichen zu einem klimafreundlicheren Konsumverhalten. Die Untersuchungen der Forscher zeigen aber auch, dass die Möglichkeit von Kompensationszahlungen unterschiedliche Reaktionen bei bestimmten Konsumentengruppen auslösen kann. Gerade, wenn Kompensationsmaßnahmen als besonders wirksam wahrgenommen würden oder die Befragten bereits sehr aktiv in Sachen Klimaschutz seien, entstehe tatsächlich eine Tendenz zur Reduzierung anderer Klimaschutzaktivitäten.

Welche Organisation kompensiert richtig?

Wer die CO2-Emissionen kompensieren möchte, die beim Flug in den Urlaub oder zum Geschäftstermin anfallen, hat mittlerweile die Wahl zwischen zahlreichen Anbietern. Der Preis pro kompensierter Tonne liegt zwischen 5 und 23 Euro. Diese Spanne klingt nach Abzockerei, hat aber zu tun mit den sehr unterschiedlichen Projekten: Es ist viel kostspieliger, ein deutsches Moor zu renaturieren, als in Afrika Kocher anzuschaffen. Nun ist es als Laie kaum möglich, Sinn und Unsinn von Klimaprojekten zu beurteilen. Wald aufforsten, zum Beispiel, klingt erstmal toll, ist aber unter Experten als Kompensationsprojekt umstritten, weil das in den Bäumen gebundene CO2 wieder freigesetzt würde, wenn diese Bäume dann doch zu Feuerholz werden. Auf der sicheren Seite ist man als Verbraucher mit Projekten, die das Gütesiegel „Goldstandard CER“ tragen. Bei diesen Projekten geht es nicht nur um die Klimabilanz, sondern auch um den sozialen und ökologischen Nutzen.

Testsieger war Atmosfair. Klimakollekte und Primaklima bekamen ebenfalls die Note „sehr gut“, wobei die Tester bei Klimakollekte Abstriche in Sachen Transparenz machten. My Climate bekam ein „gut“, die Klimamanufaktur und Artik schnitten nur mit „ausreichend“ ab und bekamen beim Punkt Transparenz sogar nur „mangelhaft“.

Besser reisen

Zum Thema Verkehrsmittel und Unterkünfte habe ich letzte Woche schon einige Daten im Blog zusammengetragen. Wer lieber pauschal urlaubt: Es gibt mittlerweile eine Reihe von Reiseveranstaltern, die umweltbewusste Pauschal-Pakete anbieten: „Bookdifferent“, zum Beispiel, oder „Bookitgreen“. Das Nachhaltigkeitsportal fairunterwegs.org hat 20 touristische Nachhaltigkeitslabels unter die Lupe genommen.


Katarina Schickling ist Buchautorin und Dokumentarfilmerin. Sie spezialisiert sich seit Jahren bei ihren Recherchen auf nachhaltiges Leben und gesunde, ökologisch sinnvolle Ernährung. Als Expertin wird sie von ARD & ZDF zurate gezogen.

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